Eine der kellerschen Novellen, die mich nun nicht sehr bewegt hat. Die einleitenden Sätze machen die Intention klar: Literatur bestehe aus wenigen großen Stoffen, die, in abgewandelter Form, immer wieder aufgegriffen und bearbeitet werden. Keller exerziert dies am Beispiel von Shakespeares Tragödie durch und versetzt sie in eine ländliche Gegend des 19. Jahrhunderts, nach Seldwyla.
Unbestreitbar ist das schöne Prosa, wir bekommen einen Grund für die bäuerliche Fehde geliefert, die Kinder wachsen auf und erkennen, daß sie füreinander bestimmt sind. Alles von meisterlicher Hand entwickelt, in gemächlicher Sprache ohne Haken und Ösen. Bub und Mädchen leiden unter ihren verkommenen Elternhäusern und entschließen sich letztlich zum Abschied von der Welt, einem wilden, gemeinsamen Abend, an dessen Ende die Vermählung steht und der Tod. Anrührend wird dieses Schicksal erst auf den letzten Seiten, wo der Freitod als einziger Ausweg so selbstverständlich ist. Keller krönt seine Novelle mit einer bissigen Pointe, die die Erzählhaltung auf den Kopf stellt und den ganzen Text auf einen Schlag in einem anderen Licht erscheinen läßt. Ein starker Schachzug, doch kommt er zu spät - Salis und Vrenchens ellenlange Entwicklung zueinander hin gerät schon früh ins laue Plätschern, ins stockende Tröpfeln von Seite zu Seite. Von Anfang an kennt man den Ausgang, der Titel ist Programm, und so groß der Genuß an der Sprache auch ist, es handelt sich nun einmal um eine Geschichte, und Geschichten leiden unter Ballast.
Dienstag, 30. Oktober 2012
Mittwoch, 24. Oktober 2012
Mit der Hälfte des Herzens - Antonine Maillet
Originaltitel: Pélagie-la-Charrette
Ein tolles Buch, aber mit Vorsicht zu genießen. Die hierzulande unbekannte kanadische Autorin schreibt in einer "mündlichen Erzähltradition Akadiens", und die ist zunächst sehr gewöhnungsbedürftig. Mehrere Erzähler streiten darin um die Deutungshoheit, fahren sich gegenseitig ins Wort, Erzähltes und Rahmenhandlung werden vermischt, Anführungszeichen kreativ gesetzt, Namen und Stammbäume inflationär gebraucht, und in welcher Zeitebene man gerade steckt, kommt manchmal erst nach etlichen Seiten heraus. Ich habe anfangs mit großem Mißmut auf diesen Stil reagiert, war schnell angestrengt und nach fünfzig Seiten fing ich an, querzulesen. Was auch immer später im Buch dann jedoch passiert ist, ich bin heilfroh drum: plötzlich gefiel es mir. Ich gewöhnte mich an die Erzählart, mehr und mehr drang sie zu mir durch, weckte Stimmungen von heimeligen Geschichtenrunden am Kamin eines Bauernhauses, irgendwann zu früheren Zeiten. Die Erzähler erwachten zum Leben, die Figuren leuchteten, und die kleinen, so feinfühlig abgewogenen, pathetisch vorgetragenen Episoden verfehlten ihre Wirkung nicht. Das Ende kam viel zu früh, ergreifend, melancholisch stolz. Und ich mußte das Buch noch einmal lesen. Diesmal waren keine hundert Seiten zur Einstimmung nötig, von Anfang an saß ich mit im Kreis und lauschte den Geschichtenerzählern. Mein neues Hintergrundwissen ließ mich zu einem der am Feuer versammelten allabendlichen Zuhörer werden, die die Geschichten schon so viele Male gehört haben, aber immer wieder gebannt an den Mündern ihrer Chronisten hängen.
Es ist die Geschichte eines Volkes, das um 1750 aus Akadien, dem amerikanischen Neufrankreich, vertrieben und in die Diaspora geschickt wird, nach Jahren der Sklaverei auf der beschwerlichen Fahrt zurück über den Kontinent den Kopf stets oben und die Nase im Wind behält, nie seine Wurzeln verliert, nie das Ziel aus den Augen und nie die Heimat aus dem Herzen. Anführerin und Motor der Rückkehrer ist die titelgebende Pélagie-la-Charette, eine Personifikation des Heimatlandes, aufrecht, von der Not ungebrochen, herzensgut zu den Menschen. Und liebend. Die liedartigen Passagen ihrer Begegnungen mit dem seelenverwandten Kapitän Broussard gehören zum Anrührendsten, was ich je gelesen habe.
Antonine Maillet ist gelungen, was nur wenige Autoren erreicht haben: Sie hat einen Beitrag zur Identität ihres Volkes geleistet. Für "Mit der Hälfte des Herzens" erhielt sie den Prix Goncourt. Die schrifstellerische Kunst, mit der sie uns ihr Akadien näherbringt, dieser bezaubernde Stil, rechtfertigt das zweifellos. In Deutschland kennt man sie kaum, das 1979 veröffentlichte Buch erschien hierzulande erstmals 2002. Eine unbedingte Empfehlung von mir. Große Literatur.
"Und Pélagie drückte ihren Kopf an die Brust des Riesen, in dessen Augen das ganze Meer zu sehen war."
Ein tolles Buch, aber mit Vorsicht zu genießen. Die hierzulande unbekannte kanadische Autorin schreibt in einer "mündlichen Erzähltradition Akadiens", und die ist zunächst sehr gewöhnungsbedürftig. Mehrere Erzähler streiten darin um die Deutungshoheit, fahren sich gegenseitig ins Wort, Erzähltes und Rahmenhandlung werden vermischt, Anführungszeichen kreativ gesetzt, Namen und Stammbäume inflationär gebraucht, und in welcher Zeitebene man gerade steckt, kommt manchmal erst nach etlichen Seiten heraus. Ich habe anfangs mit großem Mißmut auf diesen Stil reagiert, war schnell angestrengt und nach fünfzig Seiten fing ich an, querzulesen. Was auch immer später im Buch dann jedoch passiert ist, ich bin heilfroh drum: plötzlich gefiel es mir. Ich gewöhnte mich an die Erzählart, mehr und mehr drang sie zu mir durch, weckte Stimmungen von heimeligen Geschichtenrunden am Kamin eines Bauernhauses, irgendwann zu früheren Zeiten. Die Erzähler erwachten zum Leben, die Figuren leuchteten, und die kleinen, so feinfühlig abgewogenen, pathetisch vorgetragenen Episoden verfehlten ihre Wirkung nicht. Das Ende kam viel zu früh, ergreifend, melancholisch stolz. Und ich mußte das Buch noch einmal lesen. Diesmal waren keine hundert Seiten zur Einstimmung nötig, von Anfang an saß ich mit im Kreis und lauschte den Geschichtenerzählern. Mein neues Hintergrundwissen ließ mich zu einem der am Feuer versammelten allabendlichen Zuhörer werden, die die Geschichten schon so viele Male gehört haben, aber immer wieder gebannt an den Mündern ihrer Chronisten hängen.
Es ist die Geschichte eines Volkes, das um 1750 aus Akadien, dem amerikanischen Neufrankreich, vertrieben und in die Diaspora geschickt wird, nach Jahren der Sklaverei auf der beschwerlichen Fahrt zurück über den Kontinent den Kopf stets oben und die Nase im Wind behält, nie seine Wurzeln verliert, nie das Ziel aus den Augen und nie die Heimat aus dem Herzen. Anführerin und Motor der Rückkehrer ist die titelgebende Pélagie-la-Charette, eine Personifikation des Heimatlandes, aufrecht, von der Not ungebrochen, herzensgut zu den Menschen. Und liebend. Die liedartigen Passagen ihrer Begegnungen mit dem seelenverwandten Kapitän Broussard gehören zum Anrührendsten, was ich je gelesen habe.
Antonine Maillet ist gelungen, was nur wenige Autoren erreicht haben: Sie hat einen Beitrag zur Identität ihres Volkes geleistet. Für "Mit der Hälfte des Herzens" erhielt sie den Prix Goncourt. Die schrifstellerische Kunst, mit der sie uns ihr Akadien näherbringt, dieser bezaubernde Stil, rechtfertigt das zweifellos. In Deutschland kennt man sie kaum, das 1979 veröffentlichte Buch erschien hierzulande erstmals 2002. Eine unbedingte Empfehlung von mir. Große Literatur.
"Und Pélagie drückte ihren Kopf an die Brust des Riesen, in dessen Augen das ganze Meer zu sehen war."
Dienstag, 23. Oktober 2012
Robert Schumann - Martin Geck
Mensch und Musiker der Romantik
Eine Biographie, deren Herangehensweise sich gründlich von der der kürzlich Gelesenen unterscheidet. Wo Thomas Karlauf sich nüchtern und methodisch durch das Leben Stefan Georges tastet, das soziale Gefüge des Dichters restlos ausleuchtet und dabei gerne trocken bleibt, schreibt Geck emotional, assoziativ, fahrig, induktiv, psychologisch-spekulativ. Das ist nicht wissenschaftlich, aber als Buch sehr interessant zu lesen. Geck ignoriert Erziehung, Umfeld, nahestehende Personen Schumanns vollkommen, leitet die Vita wie selbstverständlich aus bestimmten Schlüsselerlebnissen und -phasen des Komponisten ab. Die Musikwerke, die er herrlich ausführlich und mit viel Sachverstand bespricht, spiegeln diese von ihm herausgearbeiteten Prägungen seiner Ansicht nach klar und deutlich wieder. Ich will Gecks Methode nicht schlecht machen, sie ist mir wegen der Lockerheit des Stils, des reduktionistischen Konzepts, der naiven Selbstverständlichkeit, mit der ein fugenloses Bild ohne Ecken und Kanten entsteht, sympathisch. Und insbesondere die Werkbesprechungen reizen mit interessanten Details, mit Vergleichen zu anderen Komponisten, mit den erwähnten kühnen Deutungsversuchen.
Eine Biographie, deren Herangehensweise sich gründlich von der der kürzlich Gelesenen unterscheidet. Wo Thomas Karlauf sich nüchtern und methodisch durch das Leben Stefan Georges tastet, das soziale Gefüge des Dichters restlos ausleuchtet und dabei gerne trocken bleibt, schreibt Geck emotional, assoziativ, fahrig, induktiv, psychologisch-spekulativ. Das ist nicht wissenschaftlich, aber als Buch sehr interessant zu lesen. Geck ignoriert Erziehung, Umfeld, nahestehende Personen Schumanns vollkommen, leitet die Vita wie selbstverständlich aus bestimmten Schlüsselerlebnissen und -phasen des Komponisten ab. Die Musikwerke, die er herrlich ausführlich und mit viel Sachverstand bespricht, spiegeln diese von ihm herausgearbeiteten Prägungen seiner Ansicht nach klar und deutlich wieder. Ich will Gecks Methode nicht schlecht machen, sie ist mir wegen der Lockerheit des Stils, des reduktionistischen Konzepts, der naiven Selbstverständlichkeit, mit der ein fugenloses Bild ohne Ecken und Kanten entsteht, sympathisch. Und insbesondere die Werkbesprechungen reizen mit interessanten Details, mit Vergleichen zu anderen Komponisten, mit den erwähnten kühnen Deutungsversuchen.
Kenner werden sich bei der
Lektüre vermutlich wundern, für mich ist Gecks Buch jedoch ein
schöner Kompromiß zwischen schematisch-akademischer Arbeit und
anekdotischem Erzählen. Es ist ein belletristisches Werk, und jeder,
der mehr erwartet, wird enttäuscht. Wer Schumann über seine Musik
kennenlernen möchte, und auf ein zuverlässiges Bild des Menschen
dahinter verzichten kann, soll hingegen zugreifen.
Mittwoch, 10. Oktober 2012
Mass Effect - Bioware
Es gibt ein Genre in der Science
Fiction, das sich Space Opera nennt. Generationenlange Konflikte entfalten sich da, fremdartige Völker tragen ihre meist
kriegerischen Auseinandersetzungen von kosmischen Ausmaßen aus. Dazu
kommen mythische Elemente, uralte Geheimnisse, dunkle, übermächtige
Bedrohungen, die den Handlungsrahmen eskalieren. Oft, nicht immer,
dienen diese großangelegten Entwürfe dann als Kulisse für typische
Operndramaturgie mit wenigen, charismatischen Charakteren: Liebe,
Leidenschaft, und Tod. Der Terminus Seifenoper liegt nicht aus Zufall
nahe. Und wo es dem Film aufgrund der Begrenzungen des Mediums
unmöglich ist, eine Space Opera in ihrer Spannweite
proportionsgerecht umzusetzen, es werden dort bevorzugt die seifigen
Elemente herausgegriffen und ausgemalt, sollte ein Computerspiel die
nötigen Ressourcen für ein solches Vorhaben bieten können.
Noch nie ist das so ambitioniert
versucht worden wie mit der "Mass Effect"-Reihe von
Bioware. Das dort geschaffene originäre Universum atmet und lebt.
Die Handlung ist die übliche - schlimme Dinge am Horizont, auf gehts
zum Verhindern. Ganz hervorragend hingegen die Charaktere, die dieses
Universum bevölkern, sich entwickeln, Krisen durchmachen und
zueinander finden. Natürlich sind das Klischees, amerikanische
Versatzstücke, die mittlerweile von Hollywood bis hin zur hiesigen
Regionalzeitung ihre kulturfaschistische Wirkung entfalten. Helden
opfern sich für die Gemeinschaft, Schwache und Andersartige werden
toleriert, perfekte Ergriffenheitschoreographie, nur große Gefühle
gibt es, keine kleinen. Was das Ganze dennoch aus dem Schleimtiegel
der Linientreue heraushebt und es so großartig macht, ist die Form:
Als Computerspiel gab es so etwas bisher nicht.
Wir erleben die Geschichte eines Herrn
oder Frau Shepard, der die Welt vor bösen Bösen retten muß. Das
geschieht mittels vielerlei Geballer, das zwischen die häppchenweise
präsentierte Handlung geschaltet ist. Die gerühmten
Rollenspielelemente sind lächerlich und zu vernachlässigen, das
Schießen und Ducken, Schießen und Ducken ermüdet schnell, einzige, aber große
Motivation bleibt zu wissen, wie es weitergeht. Es ist sicher nicht
einfach, eine romanreife Geschichte derartig zu zerstückeln und
anschließend noch ein gutes Erlebnis zu haben. Den Bioware-Machern
ist es gelungen. Über drei Teile halten sie den Spieler bei Stange
und ich kann sagen, daß es mir am Ende schwer gefallen ist, von Mass
Effect Abschied zu nehmen. Wie bei einem guten Buch.
Anders als Buch oder Film leidet das
Medium Spiel jedoch an einem strukturellen Problem: Gerne würde ich
die Geschichte noch einmal durchleben, noch einmal die Aufs und Abs
der liebenswerten Charaktere begleiten. Doch nochmal durch den ganzen
Ballerunfug durch? Nochmal dreißig Stunden pro Spiel investieren?
Nein. Ein Buch läßt sich gerne wiederlesen, ein Film ist so schnell
und rückstandslos verdaut wie ein McDonalds-Burger. Ein Spiel wie
Mass Effect hingegen muß ein einmaliges Erlebnis bleiben.
Abonnieren
Posts (Atom)